Heraklit

Denn alles wird das Feuer, herangekommen, richten und fassen

Heraklit von Ephesos (* zwischen 540 und 535 v. Chr.; † zwischen 483 und 475 v. Chr.) war ein vorsokratischer Philosoph aus Griechenland. In seiner altgriechischen Muttersprache hieß er: Ἡράκλειτος ὁ Ἐφέσιος (Hêrákleitos ho Ephésios - Herakleitos der Ephesier), der sich in der latinisierten Version zu Heraclitus wandelte. Er gilt als früher und bedeutender Vertreter einer Philosophie des Logos und der Dialektik.

Leben und Werk

Heraklit lebte auf der griechischen Kolonie Ephesos und stammte aus einem vornehmen Geschlecht. Auf das Amt des königlichen Opferpriesters, auf das er ein ererbtes Anrecht hatte, soll er zugunsten seines Bruders verzichtet haben. Er galt als Gegner der Demokratie, nachdem er die Bewohner seiner Heimatstadt tadelte: „Recht täten die Ephesier, sich Mann für Mann aufzuhängen allesamt [...], sie, die Hermodoros, ihren wertvollsten Mann, mit den Worten: 'Von uns soll keiner der wertvollste sein oder, wenn schon, dann anderswo und bei andern.' hinausgeworfen haben.“

Heraklits Werk ist nur fragmentarisch erhalten geblieben. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass eine Schrift Heraklits, womöglich mit dem Titel „Über die Natur“ (altgr. Περὶ τῆς φύσεως - Perì tês phýseôs), existierte, auf die sich mehrere Philosophen und Geschichtsschreiber wie Platon, Aristoteles und Diogenes Laertios beziehen und die Heraklit im Tempel der Fruchtbarkeitsgöttin Artemis niedergelegt haben soll. Auf die Existenz einer längeren Schrift deuten auch manche der insgesamt etwa 126 als sicher überliefert geltenden Fragmente hin. Bei weiteren 13 Fragmenten ist Heraklits Autorenschaft nicht sicher.

Seine dichte, rätselhafte, oftmals aphoristische Sprache und die Tiefe seiner Gedanken trugen ihm den Beinamen „der Dunkle“ (altgr. ὁ Σκοτεινός - ho Skoteinós) ein; seinem tragischen Ernst verdankte er die Bezeichnung "der weinende Philosoph".


Gemälde von Johannes Moreelse, Heraclitus (c. 1630)

Lehre

Die verborgene Natur

In bewusster Abgrenzung zum gewöhnlichen Denken suchte Heraklit nach dem allgemeinen Gesetz, das hinter den alltäglichen Erscheinungen „verborgen“ liegt. Diese verborgene „Natur“ („physis“) sah er im ewig sich wandelnden „Feuer“, das sich stets neu entzündet, um dann wieder zu erlöschen. Auch die anderen Elemente der vorsokratischen Urstofftheorien tauchen bei ihm auf: „Feuers Umwende: Wasser, vom Wasser aber die eine Hälfte Erde, die andere Gluthauch (Luft).“ Jedoch ist Heraklits „göttliches Feuer“ in seiner „Umwende“ zu Wasser, Erde und Luft weniger als weitere naturphilosophische Urstofftheorie zu verstehen, sondern mehr als eine Metapher für den „Logos“, dessen Dynamik die Welt durchwaltet und dessen Wandlung ihr Seinsprinzip bildet.

Die Seele

Sowohl die Welt als auch die Seele („psyche“) ist von diesem Logos bestimmt, wobei die Seele von Heraklit als „Ausdünstung“ verstanden wird: „Die Seelen dünsten aus dem Feuchten hervor.“ Sie entstehen im Ur-Element des Wassers, verdunsten und 'klären' sich dann aber in jenem Maße, in dem sie sich dem Denken und damit dem Logos zuwenden. In gewissem Sinne kann Heraklit gar als früher Psychologe angesehen werden, wenn er schreibt: „Ich durchforschte mich selbst.“ Jedoch ist dieses „selbst“ nicht die individuelle Psyche, sondern das überindividuelle, allen gemeinsame, ewige Gesetz des Logos, das auch das Individuum beherrscht. Die Ausdehnung des Logos ist unendlich: „Der Seele Grenzen kannst du im Gehen nicht ausfindig machen, und ob du jegliche Straße abschrittest; so tiefen Logos hat sie.“

Die Einheit der Gegensätze

Der Logos ist das allen und allem Gemeinsame, der „Sinn“, das Prinzip der Welt – sogar die Götter sind ihm unterworfen. Die Strukturdynamik des Logos besteht für Heraklit im Streit („polemos“), der der „Vater aller Dinge“ ist. Die sich wandelnde Welt ist geprägt von einem Kampf der Gegensätze, vom ewigen Widerspruch der Polaritäten. Dabei wird nicht ein Pol von einem anderen abgelöst, vielmehr bestehen die Gegensätze zugleich und sind ineinander verschränkt. Der Logos besitzt die Struktur einer „gegenstrebigen Einheit“. Heraklit versinnbildlicht diese Struktur im Bild des Bogens, der von einer Sehne gespannt wird, die ihn durch seine Gegenkraft krümmt und zugleich in eine stabile Position führt, der man ihre innere Spannung nicht ohne weiteres ansieht.

In der gegenstrebigen Einheit gewinnt jede Seite eines Gegensatzes ihren Sinn erst durch die Differenz zur anderen: Krieg und Frieden, Wachheit und Schlaf, Sättigung und Hunger, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Jede Seite ist nur im Kontrast zur anderen verstehbar. „Einheit der Gegensätze“ meint also: Im Gegensatz zeigt sich eine tieferliegende, „verborgene“ Einheit, ein Zusammengehören des Verschiedenen. „Einheit in der Vielheit“ ist die klassische Formel (Platon prägte diesen Begriff), mit der sich die heraklitische Philosophie darum auf den Begriff bringen lässt.


Das Eine

Das Wesen des Logos besteht für Heraklit also nicht – wie gelegentlich vereinfachend formuliert – im "panta rhei", im „alles fließt“:

"Πάντα ῥεῖ καὶ οὐδὲν μένει."
"Alles fließt und steht nicht still."

Vielmehr besteht es im „Einen“, das im Wandel des Werdenden Bestand hat. Der Widerstreit der Gegensätze schafft zugleich Ordnung (κοσμóς - kosmos) und Einheit. Dabei ist das „Eine“ keine feste, unveränderliche Substanz. Es ist die logische Einheit des Gegensätzlichen, und damit der Inbegriff des Paradoxon, dessen sich Heraklit als Stilmittel oft bedient:

"Ποταμοῖς τοῖς αὐτοῖς ἐμβαίνομέν τε καὶ οὐκ ἐμβαίνομεν, εἶμέν τε καὶ οὐκ εἶμεν."
"In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind und wir sind nicht."

Sofern es mit dem Begriff des Logos auch Heraklit um das unwandelbare Eine geht, sind er und sein oft so bezeichneter „Gegenspieler“ Parmenides nicht die absoluten Antipoden, als die sie seit Platon oft angesehen wurden. Doch während Parmenides das Werden überhaupt leugnet, verteidigt Heraklit das dialektische Verhältnis von Sein und Werden.

Ein nachdenklicher Heraklit in der Gestalt Michelangelos, aus "Die Schule von Athen", Raphael Santi, 1510/11, Stanzen des Vatikans, Rom

Der Logos als Denkgesetz

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Auch bringt Heraklit den Logos mit dem Denken in Verbindung: „Das Denken ist allen gemeinsam.“ Hermann Fränkel interpretiert den heraklitischen Logos deshalb auch als „Denkform“ (vgl. Fränkel, Eine heraklitische Denkform, in: ders., Wege und Formen frühgriechischen Denkens, München: Beck 1955, S. 253-283); Wolfgang Schadewaldt bezeichnet ihn als „Denkverfahren“ (Schadewaldt, Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen, S. 373). Der Logos ist die Wahrheit hinter den alltäglichen Erscheinungen, die nur der dialektisch Denkende zu begreifen vermag. „Das Denken [„phronein“] ist der größte Vorzug, und die Weisheit besteht darin, die Wahrheit zu sagen und nach dem Wesen der Dinge [„physis“] zu handeln, auf dieses hinhörend.“


Wachende und Schlafende

Für viele ist der Logos unerkennbar, „weil sie nicht denken“. Zwar ist er als verborgene Natur und Gesetz der Welt allen Menschen gemeinsam und bestimmt alles Geschehen, aber die meisten wenden sich von ihm ab und ihrer eigenen Welt zu: „Aber obschon der Logos allen gemeinsam ist, leben die Vielen, als hätten sie eine eigene Einsicht.“ Die so dem Logos Abgewandten vergleicht Heraklit auch mit Schlafenden, die sich träumend „ein eigenes Licht anzünden“. Wach und weise dagegen ist, wer sich dem Logos zuwendet und ihn in der Natur und in sich selbst erforscht; heiter und glücklich ist, wer sich seinem Gesetz fügt. „Es ist Pflicht, dem Logos zu folgen.“


Einfluss

Es existierten einige antike Philosophen, die sich ausdrücklich als „Herakliteer“ verstanden, doch blieben sie ohne größere Bedeutung. Starken Einfluss hatte Heraklit unter anderem auf die Stoa, aber auch auf Epikur, wenn dieser schreibt: „Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne dass man vernunftgemäß, schön und gerecht lebt [...]“ Den Begriff des Logos, der bereits bei Homer in der Bedeutung von „Rede“ überliefert ist, aber erst von Heraklit in einem philosophischen Sinne gebraucht wurde, sowie den Begriff des Einen, erhöhten christliche Theologen zu Gott.

In der Neuzeit inspirierte Heraklits Denken Friedrich Schleiermacher und dialektische Denker wie Hegel, Karl Marx, Friedrich Engels und Lenin, die Heraklit als frühen Vertreter einer zu dieser Zeit noch notwendig naiven, aber der Sache nach richtigen Anschauung auffassten. Hegel schreibt im ersten Band seiner Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie: „Es ist kein Satz des Heraklit, den ich nicht in meine Logik aufgenommen.“ (S. 320)

Heraklits Gedanke vom Kampf als dem Vater aller Dinge wirkt bei Charles Darwin und vor allem bei Friedrich Nietzsche nach. Auf Heraklits Philosophie des Logos bezog sich insbesondere Martin Heidegger in mehreren Schriften und Vorlesungen.

Fragmente von Heraklit

Siehe auch

Dialektik

Hen kai pan

Universelle Weltvernunft

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Heraklit , Hendrick ter Brugghen

Literatur

  • Diels/ Kranz: Die Fragmente der Vorsokratiker. (Nach dieser Ausgabe wird in aller Regel zitiert.)
  • Hans Georg Gadamer: Heraklit-Studien, in: Der Anfang des Wissens, Reclam Stuttgart 1991
  • Martin Heidegger/Eugen Fink: Das Heraklit-Seminar (1966/67), Klostermann Verlag
  • Martin-Heidegger: Heraklit-Vorlesungen (1944), Gesamtausgabe Band 55
  • Wilhelm Capelle: Die Vorsokratiker, Stuttgart 1968 ISBN 3-520-11908-0
  • Bhagwan Shree Rajneesh: Die verborgene Harmonie - Vorträge über die Fragmente des Heraklit, Edition Innenwelt 2002, ISBN 3-936-36085-5
  • Christof Rapp, Die Vorsokratiker, München (Beck) 1997 ISBN 3-406-38938-4 (sehr gut lesbare Einführung mit Literaturempfehlungen, Zeittafel und Index)
  • Hans-Georg Gadamer: Der Anfang des Wissens. Reclam, Stuttgart 1999, ISBN 3-15-009756-8
  • Evangelos N. Roussos: Heraklit-Bibliographie. WBG, Darmstadt 1971, ISBN 3-534-05585-3
  • Georg Picht: Der Begriff der Natur und seine Geschichte, Stuttgart: Klett-Cotta 1989, S. 167 - 194 (Exkurs über Heraklit), ISBN 3-608-91420-X
  • Luciano De Crescenzo: Alles fliesst, sagt Heraklit. Goldmann, München 1997, ISBN 3-442-72165-2

Weblinks

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