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Personifikation der Geschichte, Mosaik im Jefferson Building USA, 1896 Frederick Dielman. Inschrift mit Namen u.a. von Herodot, Thukydides, Polybios und Tacitus.
Publius (oder Gaius) Cornelius Tacitus (* um 55 n. Chr.; † nach 115 n. Chr.) war ein bedeutender römischer Historiker und Senator. Leben Über Tacitus’ (der Name wurde zur damaligen Zeit „Takitus“ ausgesprochen und bedeutet wörtlich „der Schweigsame“) Leben existieren nur verstreute Zeugnisse von ihm selbst oder von seinen Zeitgenossen, vor allem vom jüngeren Plinius. Er kam aus dem Ritterstand; sein Vater ist als Procurator in Gallia Belgica bezeugt. Die Familie stammte wahrscheinlich aus einer der römischen Provinzen, vielleicht Gallia Cisalpina oder Gallia Narbonensis. Tacitus dürfte zielstrebig auf den Eintritt in den Staatsdienst vorbereitet worden sein, als seine Lehrer nennt er selbst M. Aper und Iulius Secundus. Er schlug die übliche Laufbahn als Gerichtsredner, d. h. Rechtsanwalt, ein. 77 n. Chr. verlobte er sich mit der Tochter des Konsuls Gnaeus Iulius Agricola und heiratete sie bald darauf. Wohl unter Vespasian begann er die typische politische Karriere eines römischen Senators (cursus honorum). 88 n. Chr. war Tacitus Prätor. Während der Herrschaft Nervas (9698 n. Chr.), wurde Tacitus im Jahre 97 Suffektkonsul. Unter Kaiser Trajan ( 98117 n. Chr.) nahm er seine schriftliche Tätigkeit auf und wurde zwischen 112 und 116 mit dem Proconsulat der Provinz Asia (auf dem Gebiet der heutigen Türkei) betraut. Er hat vermutlich Trajan überlebt; das genaue Todesjahr ist nicht bekannt. Werk Tacitus galt als einer der bedeutendsten Redner seiner Zeit; der Redekunst widmete er unter stilistischer Anlehnung an Marcus Tullius Cicero, den bedeutendsten Redner der goldenen Latinität, den Dialogus de oratoribus. Nach dem Konsulat (97) unter Nerva begann er mit der Arbeit an seinen großen Geschichtswerken, die sich vielleicht noch bis in die beginnende Herrschaft des Kaisers Hadrian hinzog. Tacitus schrieb seine Geschichtswerke aus der Perspektive des Senators, der die Zeit der römischen Kaiser von Tiberius bis Domitian danach beurteilte, wie weit sie noch den Idealvorstellungen der römischen Republik entsprach. Seine scharfen und auch sprachlich brillanten Analysen haben das moderne Bild vom römischen Reich im 1. Jahrhundert n. Chr. wesentlich geprägt. Er kritisierte die zeitgenössischen Zustände als Verfallserscheinungen und versuchte dies anhand von bewusst ausgewählten Ausschnitten aus der Geschichte zu belegen. Der subtilen Coloration der Charaktere kam so die Aufgabe zu, dem Leser ein ganz bestimmtes Bild zu vermitteln. Dabei ist zu beachten, dass Tacitus sich zwar der Maxime sine ira et studio (lat. „ohne Zorn und Eifer“) also einer objektiven Berichterstattung verschrieben hatte, dieses Ziel aber oft verfehlt hat; beispielsweise bei der Charakterisierung des Tiberius. Dabei macht sich oft Tacitus' Denken in stereotypen Kategorien bemerkbar. Die Werke in vermuteter Entstehungsfolge:
Charakter der taciteischen Historiographie Tacitus war ein scharfer Kritiker der von Augustus begründeten staatlichen Ordnung des Prinzipats. Als Anhänger der alten Republik (und deren Freiheit die genau genommen ja vor allem die Freiheit der herrschenden Schicht war) kritisierte er die Alleinherrschaft, die er als ursächlich für den Verfall von Gerechtigkeit und virtus ansah. Geprägt vom Erlebnis der (in dieser Weise wohl zu Unrecht) als Tyrannis empfundenen Herrschaft Domitians (8196), schilderte er die julisch-claudischen Kaiser von Tiberius bis Nero (Annales) sowie die Flavier Vespasian, Titus und jenen Domitian (Historiae), wobei sich sein Geschichtsbild allmählich verdunkelte: Die Absicht, Zeugnis gegenwärtigen Glücks (testimonium praesentium bonorum) abzulegen, trat in den Hintergrund und wich dem Bestreben, die Erinnerung an frühere Knechtschaft (memoria prioris servitutis) wachzuhalten. In dem Bewusstsein, dass die Zeiten knapp bemessen seien, in welchen man frei seine Meinung äußern könne, geriet ebendies zu seinem Hauptaugenmerk: den Taten der historischen Personen Würdigung oder Schmach zuteil werden zu lassen, wobei Tacitus eben oft in stereotype Denkmuster verfiel: Tiberius ist bei ihm ein durch und durch böser Mensch, wobei Tacitus die Person des Germanicus als Antipode zu Tiberius glorifizierend darstellt. Zur geplanten Schilderung der ihm positiver erscheinenden Zeit unter Augustus, Nerva und Trajan kam es nicht mehr. Offenbar sah Tacitus auch ein, dass es unmöglich war, zu den vom idealisierten Zuständen der res publica libera zurückzukehren bzw. dass er bei dem Verfassen einer „Zeitgeschichte“ auf Trajan hätte Rücksicht nehmen müssen. Tacitus' Geschichtsschreibung ist demnach nicht wie beispielsweise die eines Titus Livius didaktisch-moralisch, sondern eher deskriptiv-moralisch. Er glaubt kaum an eine Besserung der Situation, da die Heilmittel gegen die Laster der Zeit langsam wirkten, zumal die meisten Träger der Tugend (virtus) den Tyrannen zum Opfer gefallen seien und der Rest der Bürgerschaft (civitas) in Lethargie versunken sei. Tacitus und der Aufstand des Arminius Tacitus beschrieb in seinen Annalen den Krieg gegen die Germanen eingehend. Von den zeitgenössischen Autoren unterschied sich Tacitus gerade durch seine bittere Kritik am Ausgang des Krieges. Hinsichtlich seiner verwendeten Quellen in Bezug auf die Germanicusfeldzüge sind keine sicheren Angaben möglich. Sowohl Aufidius Bassus als auch Plinius der Ältere wurden als Quellen in Anspruch genommen. Für die Germanicusfeldzüge erlaubt die Darstellung des Tacitus nur bedingt eine sachliche Rekonstruktion der Ereignisse; vor allem die hinter den einzelnen Feldzügen stehenden Ziele und Absichten bleiben unklar. Der kompositorisch zentrale Aspekt der ersten beiden Bücher der Annalen des Tacitus ist der scharfe Gegensatz zwischen dem Helden Germanicus und dem Tyrannen Tiberius (Parallele zu Tacitus' Schwiegervater Agricola und Domitian). Der Marserfeldzug nach der Niederschlagung der Meuterei der Rheinlegionen (Herbst 14 n. Chr.) wird zum eigentlichen Neubeginn sieg- und ruhmreicher römischer Offensiven gegen das rechtsrheinische Germanien. Auch erzeugt Tacitus die Vorstellung, dass Rom bereits unter Augustus das einzig ehrenvolle Ziel einer expansiven Wiederherstellung der römischen Herrschaft über Germanien (bis an die Elbe) definitiv aufgegeben habe. Für Tacitus und nur für ihn begann „der“ germanische Krieg im Herbst 14 und endete im Herbst 16. Aus der Natur der Sache ergab sich die Auffassung des Tacitus keineswegs. Die moderne Geschichtsschreibung ist ihm dennoch hierin z. T. gefolgt. Bewertung Man muss bei der Betrachtung der Geschichtswerke des Tacitus die zweifellos stilistisch beeindruckend sind und die annalistisch-historiographische Tradition Roms auf ihren Höhepunkt führten sehr kritisch verfahren. So baute Tacitus oft auch Hofklatsch mit ein (Annalen, 4,53), was wohl auch auf das Quellenmaterial zurückzuführen ist, das er zur Fertigstellung seiner Werke gesichtet hatte. Auch das Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien sollte zur Vorsicht ermahnen. Manche Ereignisse lässt er wegfallen, andere interpretiert er so, dass sie seine Thesen zu untermauern scheinen. Von seinem verlockend klingendem Grundsatz sine ira et studio (ohne Zorn und blinden Eifer) kann daher nur bedingt die Rede sein. Nachleben In der Antike fand Tacitus relativ wenig Beachtung; Ammianus Marcellinus schloss an ihn an, Sidonius Apollinaris hat ihn offenbar gelesen. Im Mittelalter waren die Schriften des Tacitus fast völlig in Vergessenheit geraten; immerhin gibt es eine umfangreiche Benutzung der Germania in der Einleitung zur Translatio s. Alexandri des Rudolf von Fulda, der für eine Beschreibung der Sachsen des 9. Jahrhunderts die Germanencharakteristik des Tacitus nahezu wörtlich verwendet. In der Zeit des Humanismus (15./16. Jh.) wurden die Schriften des Tacitus (v. a. die Germania, aber auch die Kapitel über Arminius in den Annalen) nach ihrer Wiederauffindung und Publizierung in Erstdrucken zu einer wichtigen Grundlage des entstehenden deutschen Nationalbewusstseins. Die positive Charakteristik der Germanen durch Tacitus wurde von den deutschen Humanisten begeistert aufgenommen und recht unkritisch und in wörtlicher Übernahme zur Darstellung „des“ deutschen Nationalcharakters herangezogen. Auch die Gestalt des Arminius entwickelte sich von da an zum deutschen Nationalhelden und zum Vorkämpfer deutscher Freiheit gegen Rom (vgl. v. a. den Arminius des Ulrich von Hutten). In der Zeit der Französischen Revolution wurde er als Vorkämpfer gegen die Unterdrückung gefeiert, später wurde er jedoch teils sehr kritisch betrachtet (Theodor Mommsen). Literatur Kritische Werkausgaben
Zweisprachige Ausgaben und Übersetzungen Annalen
Historien
Agricola, Germania, Dialogus
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Sekundärliteratur
Weblinks
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